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Konnektoren-Monopoly bei Haus- und Fachärzten

Seit Beginn dieses Jahres tummelt sich die Kassen-ePA zwischen meinen Smartphone-Apps und bietet mir einen direkten Zugang in die Telematikinfrastruktur (TI). Wie für alle anderen AOK- oder TK-Versicherten, ist die Aktivierung dank digitaler Identifizierung unkompliziert und medienbruchfrei möglich. Dass Versicherte derzeit trotzdem nicht viel mit der ePA anfangen können, liegt auch daran, dass nicht genügend Leistungserbringer an der TI angeschlossen sind. Obwohl die Industrie ein vitales Interesse an einer raschen Vernetzung haben sollte, wirkt das Geschäftsgebaren vieler Hersteller nicht unbedingt als Brandbeschleuniger! Der Artikel beschreibt am Beispiel meines Kinderarztes wie komfortabel oder umkomfortabel der Weg der Fachärzt:innen in die TI ist.


Foto von Suzy Hazelwood von Pexels


"Das kostet Zeit, Zeit und Geld, und am Ende funktioniert es sowieso nicht!"

"Das kostet Zeit, Zeit und Geld, und am Ende funktioniert es sowieso nicht!", die Antwort meines Kinderarztes auf die Frage, ob denn die Stammdaten auf meiner brandneuen NFC-fähigen eGK schon mit den Daten der Krankenversicherung abgeglichen werden. Jetzt gehört mein Kinderarzt nicht zu den glühenden Verfechtern und Early Adoptern der TI, sondern zu denen, die erst zwei Quartale mit einem satten Abschlag leben, bevor sie den Anschluss in Erwägung ziehen. Er wolle schließlich nicht als erweiterter Feldtester agieren, sondern ohne Pleiten und Pannen an ein funktionierendes System angebunden werden. Leider wurden seine Vorbehalte beim Versuch, die Praxis an die TI anzuschließen nur bestätigt und nicht entkräftet. Und das, obwohl sein Praxisverwaltungssystem (PVS) nicht zu den zahlreichen Exoten gehört, sondern das System mit den häufigsten Installationen in deutschen Kinderarztpraxen ist. Aber warum ist er eigentlich immer noch nicht "drin"?

Mitte des Jahres verkündete die Telekom, ihren VSDM-Konnektor nicht weiterzuentwickeln.

Die Frage, wann die Hersteller zukunftsfähige eHealth-Konnektoren auf den Markt bringen, war Anfang 2020 noch nicht zu beantworten. Mitte des Jahres verkündete die Telekom, kein Update für ihren VSDM-Konnektor anzubieten. Um als Telekom Kunde aufwändige Hardware-Wechsel im laufenden Praxisbetrieb zu vermeiden, entschied sich mein Kinderarzt abzuwarten, bis entsprechende Produkte auf dem Markt sind. Die CGM war mit der KoCoBox MED+ der erste Anbieter, der im Juli 2020 einen Konnektor auf den Markt brachte, der sich via Software-Update zum "ehealth-Konnektor" umwandeln lässt. Damit können zukunftsweisende Anwendungen wie die qualifizierte elektronische Signatur, das Notfalldaten-Management, der elektronische Medikationsplan oder Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) verwendet werden. Einen Monat später folgte mit dem Konnektor von Secunet ein zweites Gerät, das den von der Gematik formulierten Spezifikationen genügte und den notwendigen Feldtest positiv bestanden hatte. Erst seit Januar 2021 gibt es mit einem Konnektor von Rise ein drittes Gerät, das ein Update auf eine Softwareversion "eHealth" anbietet. So lange wollte mein Kinderarzt aber nicht warten und bestellte im November 2020 über die Telekom einen Secunet-Konnektor, um zumindest im vierten Quartal weiteren Strafzahlungen zu entkommen – so der Plan.


Was die Finanzierung betrifft wurde schon 2017 in der Anlage 32 zum Bundesmantelvertrag-Ärzte vereinbart, dass den Ärzten für den Anschluss an die TI keine weiteren Kosten entstehen dürfen. So wurde eine Vergütung für die Erstausstattung der Praxis vorgesehen, die einen Konnektor und bis zu drei stationäre und bei Bedarf ein mobiles Kartenterminal sowie den Praxisausweis und elektronische Heilberufsausweise umfasst. Zusätzlich wurde eine Startpauschale beschlossen, die ein PVS-Update, Installation, Schulung und Ausfallzeiten abdeckt. Ebenso werden laufende Betriebs- und Wartungskosten quartalsweise erstattet. Es scheint, als wurde an alles gedacht!

Auch nach mehrstündiger Installation und telefonischer Abstimmung mit der Technik-Hotline des PVS-Herstellers schaffte es der Techniker nicht, den Konnektor in Betrieb zu nehmen.

Ganz so einfach war es natürlich nicht. Auch nach mehrstündiger Installation und telefonischer Abstimmung mit der Technik-Hotline des PVS-Herstellers schaffte es der Techniker nicht, den Konnektor in Betrieb zu nehmen. Es handelte sich auch nicht um ein technisches Problem. Wie sich nach einer Brandmail an alle Beteiligten herausstellte, lag es tatsächlich am Praxisverwaltungssystem, das nach Auskunft eines Vertriebsmitarbeiters für den Betrieb eines „Fremdkonnektors“ eine separate Schnittstelle benötigt, die für eine einmalige zusätzliche Lizenzgebühr freigeschaltet und fortlaufend gewartet werden müsse. Bei über 140 Praxisverwaltungssystemen und insgesamt nur drei eHealth-Konnektoren im Markt sollte es überraschen, wenn PVS und Konnektor vom gleichen Hersteller kommen. Obwohl das durch die Brille des Marktführers auch anders bewertet werden kann.

Derzeit ermöglicht die Gematik mit der Telematikinfrastruktur zwar eine sichere Infrastruktur, entpuppt sie sich bei der Durchsetzung von Interoperabilität und Nutzerfreundlichkeit aber als zahnloser Tiger!

Dabei sollte die Frage, von welchem Hersteller der Konnektor bezogen wird irrelevant sein. Alle Geräte werden von der Gematik spezifiziert, geprüft und freigegeben und unterscheiden sich in puncto Schnittstellen, Standards und Funktionsumfang nicht. Jeder PVS-Anbieter sollte sich also auf die Anforderungen der Konnektoren vorbereiten und diese nativ via Plug-and-play anschließen können. Derzeit ermöglicht die Gematik mit der Telematikinfrastruktur zwar eine sichere Infrastruktur, entpuppt sie sich bei der Durchsetzung von Interoperabilität und Nutzerfreundlichkeit aber als zahnloser Tiger!


Aber zurück zu meinem Kinderarzt: Wie bereits angedeutet, folgten zahlreiche Schriftwechsel zwischen Herstellern, IT-Dienstleister und Gematik. Es stellte sich heraus, dass die Kosten für das notwendige Software-Update nicht (oder nur durch geschickte Verhandlungsführung) vollständig gedeckt sind, sofern PVS und Konnektor nicht vom gleichen Hersteller oder zumindest vom gleichen IT-Dienstleister geliefert werden. Obwohl mein Kinderarzt den Konnektor im November bestellt hat, ist seine Praxis Anfang Februar noch immer nicht an der Telematikinfrastruktur angebunden. Die Anbieter scheint das nicht zu stören, die Kosten für die Strafzahlungen müssen sie ja nicht tragen.

Was müsste besser laufen?

Obwohl beim Kauf des Konnektors alle notwendigen Angaben zu den technischen Gegebenheiten samt PVS gemacht wurden, kam es zu vermeidbaren Komplikationen. Vertragsverhandlungen und Kundenservice im PVS-Markt vermitteln den Charme eines Gebrauchtwagenkaufs, bei dem man nicht genau weiß, ob die Bremsen wirklich funktionieren und welche Kosten im Nachgang noch auf einen zukommen. Hinzu kommt, dass der technische Support für jede Anfrage bezahlt werden muss, was kein Garant für eine qualitativ hochwertige Beratung ist. In puncto Preistransparenz ist es einem Arzt nicht erklärbar, warum ein PVS-Update für den Anschluss eines „Fremdkonnektors“ bei einem PVS knapp 500 Euro, bei einem anderen 300 Euro und bei einem Dritten 29,90 Euro kostet. Warum gibt es überhaupt den Begriff „Fremdkonnektor“? Der Hardware-Konnektor stellt qua Spezifikation keine symbiotische Einheit mit dem PVS dar, trotzdem soll der Kunde in einem möglichst monolithischen Produktuniversum gefangen bleiben. Genau diese Symptomatik hat in der Vergangenheit Interoperabilität und sektoren- und systemübergreifenden Informationsaustausch im Gesundheitswesen verhindert. Diesen soll die Gematik mit der Telematikinfrastruktur sicherstellen und deshalb muss sie auch dafür sorgen, dass die darauf laufenden Produkte und Anwendungen nahtlos miteinander kombinierbar sind!

Ein Wandel ist am Horizont erkennbar, aber nur wenn sich die Nutzer:innen informieren und in Einkaufsgruppen organisieren.

Die gesamte Vertriebs- und Verkaufsstruktur der etablierten Hersteller ist im Business-Kunden-Modell der 90er Jahre stecken geblieben. Ein Wandel ist am Horizont erkennbar, aber nur wenn sich die Nutzer:innen informieren und in Einkaufsgruppen organisieren. Es drängen junge Start-ups und moderne Anwendungen auf den Markt, die mit Hilfe von Foren und Support-Chats etablierte IT-Beratungsstrukturen aufbrechen und ihren Nutzer:innen eine Bedienung, Support und Preismodelle bieten, wie sie ihn auch aus dem Privatkundenumfeld kennen. Nicht nur die IT und Software müssen nutzerfreundlich und einfach zu handeln sein, sondern auch die Geschäftsmodelle, mit denen diese verkauft und gewartet werden.


Warum wird also anstelle der Ärzte nicht direkt die Industrie verpflichtet, ihre Installationen und Geräte immer auf dem vom Gesetzgeber geforderten Stand zu halten?

Vielleicht nehmen wir zur Kenntnis, dass sich jeder Arzt freut, wenn er von einem elektronischen Medikationsplan auf eine Kontraindikation hingewiesen wird. Sein Interesse aber versiegt, wenn er dafür wissen muss, ob er einen Konnektor der Produkttypversion 3 (PT 3), PT 4 oder PT 4+ benötigt! Warum muss der Arzt Produkttypvervionen kennen, bestellen, bezahlen und sich die Kosten von der KV erstatten lassen? Warum wird nicht anstelle der Ärzte direkt die Industrie verpflichtet, ihre Installationen und Geräte immer auf dem vom Gesetzgeber geforderten Stand zu halten – sie kennt sich doch damit am besten aus? Jeder Software- und Hardware-Anbieter würde entsprechend belohnt, wenn er die durch die Gematik vorgegebenen Anforderungen und Spezifikationen in seiner Installation vorhält oder sanktioniert, wenn nicht. Die Ärzt:innen müssten sich nicht mehr mit fachfremden IT-Details auseinandersetzen und könnte sich vollständig auf das konzentrieren, wofür sie ausgebildet sind: Patient:innen behandeln! Vielleicht beginnt man mit diesem Vorgehen, wenn jede:r Haus- und Fachärzt:in in Deutschland mit einem eHealth-fähigen Konnektor ausgestattet ist – also spätestens in einem Jahr!



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